Ortsteil Hertingshausen
Den Namen Hertingshausens findet man nach Auskunft des Hessischen Staatsarchivs Marburg erstmals unter dem Datum vom 24.12.1340 als „Hettingishusen“.
Ab dem 7. August 1694 erfuhr „Hettingishusen“ eine bleibende Neubelebung. Landgraf Karl von Hessen-Kassel stellte die abseits gelegene, nur über Feld- und Karrenwege erreichbare Einöde „Hettingishusen“ den Hugenottenfamilien Boucsein, Fougnard, Canel zur ordentlichen Besiedlung zur Verfügung.
In der über 325-jährigen Dorfgeschichte überwog der Name „Boucsein“. Um im Ort gleichnamige Familien voneinander unterscheiden zu können, nannte man die Familien hauptsächlich nach den Vornamen oder aber nach den Berufen der Männer. Zwei Beispiele: Dorfname „Isaaks“ nach Isaak Boucsein, „Schüstersch“ nach dem Beruf des Schusters. Diese Dorfnamen werden heute teilweise noch benutzt.
160 Einwohner (Stand: 31.12.2019) leben im kleinsten Wohrataler Ortsteil, der im Norden an den Kreis Waldeck-Frankenberg grenzt.
Nur noch ein Vollerwerbslandwirt bewirtschaftet derzeit die Ackerflächen um den Ort.
Sportlich geht es im Schützenverein zu, der unter anderem über einen Wurftaubenschießstand verfügt.
Weitere Vereine in Hertingshausen sind die Freiwillige Feuerwehr, der Hugenotten- und Heimatverein und der Motorradclub „Lötkolben“. Seit dem Jahre 1999 singen Frauen und Männer im örtlichen Kirchenchor. Alle damaligen Vereine gestalteten gemeinsam im Jahre 1994 das große Fest „300 Jahre Hugenottenkolonie Hertingshausen“ in einer Festwoche vom 26. Juni bis 4. Juli.
Einer der Höhepunkte dieses Festes war das Festspiel „Aus Fremden wurde Freunde“, dargeboten von einheimischen Akteuren.
Die Geschichte des Ortes sowie das Hertingshäuser Leben in der „guten alten Zeit“ kann man in dem im Jahre 2001 herausgegebenen Buch, „Hertingshausen – ein Dorf am Rande des Burgwaldes“, nachlesen.
In den Jahren 1997/1998 wurde ein neues Feuerwehrgerätehaus mit viel Eigenleistung errichtet. In diesem können die Räumlichkeiten auch von den Bürgern genutzt werden. Hier üben auch die Sängerinnen und Sänger des Kirchenchores. Eine Bücherei im Feuerwehrgerätehaus befriedigt die örtlichen Leseratten.
Brotbacken kann man im Backhaus im „Hengerdorf“.
Zum Ruhen und Verweilen laden die Bänke und die Pergola am Lavendelfeld gegenüber dem Feuerwehrgerätehaus ein. Das Lavendelfeld wurde in den Jahren 2010/2011 angelegt.
Auf dem dortigen Spielplatz können Kinder klettern und rutschen.
Seit dem Jahr 2003 findet meist im Monat August bei Neumond das Amateur-Teleskoptreffen der Astronomie-Gruppe Lahn-Eder auf der „Hecke“ statt, zu diesem Amateurastronome aus ganz Deutschland den nächtlichen Sternenhimmel beobachten. Die Örtlichkeit in Hertingshausen ist für astronomische Zwecke besonders geeignet, weil dort keine anderen Lichtquellen wie z.B. Stadt- oder Dorfbeleuchtung die Beobachtungen der Amateurastronome am nächtlichen Himmel von Hertingshausen erhellen.
Der Wanderpfad der Extratour Galgenberg, der im benachbarten Gemünden beginnt, führt durch Hertingshausen und bietet bei gutem Wetter Fernsichten auf den Kellerwald und das Wohratal.
Hertingshausen liegt an einer Schleife des Hugenotten- u. Waldenserpfades, der von Norditalien bis nach Bad Karlshafen führt.
Zwischen dem Ort und Langendorf im Wald liegt der historische Rastplatz „Vollmersborn“, bei dem insbesondere Wanderer bei ihren Touren rasten können.
Mit „Vollmersborn“ wird eine Quelle im Distrikt 10 im Wald zwischen Hertingshausen und Langendorf bezeichnet. 1932 ließ der damalige Revierförster Klingelhöfer die Quelle besser ausgraben, einmauern und überdecken. Dabei wurde festgestellt, dass das Wasser durch Felsspalten aus der Tiefe nach oben sickert. Das abfließende Wasser lief durch überdeckte Rohre in einen kleinen Wassertümpel, wo Wild und Vögel trinken konnten. Eine neben dem Brunnen errichtete Bank lud Spaziergänger zum Ausruhen ein. In früheren Zeiten war „Vollmersborn“ ein Treffpunkt sonntäglicher Spaziergänger für jung und alt aus Langendorf und Hertingshausen.
Im Spätsommer des Jahres 2010 gaben Kurt Schneider und Karl Hartmann, beide aus Langendorf, dieser Örtlichkeit mit Erlaubnis und großer Unterstützung des Forstamts Burgwald ein neues Aussehen. In mühevoller Arbeit räumten sie den Quellenstandort, der mit Gestrüpp bewachsen war, auf, befreiten den mit Feldsteinen eingefassten Brunnen von Matsch und Schlamm, stellten Holzbänke auf und errichteten Mauern aus schweren Sandsteinen. Auch Vögel haben die Möglichkeit sich in aufgehängten Nistkästen niederzulassen.
Übersichtlich weisen Schilder am Waldweg zwischen Hertingshausen und Langendorf auf „Vollmersborn“ hin, so dass es nun dem Wanderer oder dem Spaziergänger leichtfällt, diesen ruhigen Ort aufzufinden, um eine Rast einzulegen.
Auch kann man dort auf einer Tafel, aufgebracht auf einem Baumstumpf unter einer Verglasung etwas über die Geschichte des „Vollmersborn“ erlesen.
Im Buch „Hertingshausen - ein Dorf am Rande des Burgwaldes“ können sich Interessierte auf Seite 135 über die „Vollmersborn-Geschichte“ informieren.
Es gibt zwei Versionen, wie es zu dem Namen „Vollmersborn“ kam.
Ein Georg Vollmer war im Jahre 1737 in Hertingshausen ansässig geworden. Bei der Urbarmachung von Land, um dieses für die Landwirtschaft zu nutzen, soll die Familie Vollmer diese Wasserstelle angelegt haben. Weil die Familie Vollmer und später die Familie Merle bei der Feldarbeit immer Wasser dort geholt haben sollen, ist der Name „Vollmersborn“ zurückzuführen, der noch heute gebraucht wird.
Die zweite Version begründet sich aus einer mündlichen Überlieferung. Ein Herr Vollmer oder Volmer, der um das Jahr 1830 in Langendorf lebte und Kurhessicher Forstläufer war, ließ die Quelle ausgraben, um für seine Kulturarbeiter bei der Aufforstung dort Trinkwasser zu holen.
Bernhard Boucsein, der von 1874-1960 in Hertingshausen lebte, glaubte bzgl. der Namensgebung an die zweite Version.
Er schrieb über „Vollmersborn“ im Jahre 1952 ein Gedicht, das heute auch dort auf der Tafel unter der Glasscheibe zu erlesen ist.
Hier der Beginn des Gedichts:
„An der Quelle „Vollmersborn“,
da steht ein Lindenbaum,
hier kannst Du ruhen aus,
fernab vom Weltgebraus.
Es zieht mich immerfort
an diesen stillen Ort.
Im tiefen Waldesrauschen
der Vöglein Sang belauschen,
Amsel, Drossel und Buchfinken,
die an der Quelle trinken
und sich hier wohlbefinden.“
Nach der Erneuerung ist der „Born“ wieder ein Ziel für Spaziergänger und Wanderer im Burgwald geworden. Menschen, die einmal innehalten und die Stille des Waldes und die vielfältigen Vogelstimmen genießen wollen, sind hier am richtigen Ort. „Für mich ist es Heimat, da ich als Kind mit meiner Schwester hier Wasser geholt habe, wenn wir in der „Kaddern“ bei der Feldarbeit mithelfen mussten“, so lautet ein Eintrag in einem ausgelegten Gästebuch.
Der Brunnen oder auch „Born“ liegt an einem Teilabschnitt des Hugenotten- und Waldenserpfades, der von Schwabendorf über Langendorf nach Hertingshausen führt. Der Weg ist entsprechend gekennzeichnet. Der internationale Kulturfernwanderweg „Hugenotten- und Waldenserpfad“ genannt, der in Südfrankreich und in den Tälern der Waldenser im italienischen Piemont beginnt, führt über die Schweiz und Süddeutschland bis nach Bad Karlshafen in Nordhessen. Dieser Pfad folgt dem realen historischen Fluchtweg der Hugenotten aus der Dauphine von Poet Laval /Frankreich) bis nach Bad Karlshafen. 1694 siedelten Glaubensflüchtlinge aus Schwabendorf nach Hertingshausen um.
Von 1920 bis etwa 1937 war die Hebamme Katharina Gimbel aus Langendorf als Geburtshelferin in Langendorf und Hertingshausen tätig. Sie wurde auch liebevoll „Fräulein Storch“ genannt. Wenn sich in Hertingshausen die Geburt eines Kindes anzeigte, mussten sich die Angehörigen der werdenden Mutter schnellstens zu Fuß auf den Weg nach Langendorf machen, um dort Fräulein Gimbel als unverzichtbare Geburtshelferin zur Tages- oder Nachtzeit, bei Schnee, Frost, Sturm oder Regen abzuholen. An diese Zeit erinnert der in der Nähe von „Vollmersborn“ vorbeiführende, damals von der Geburtshelferin benutzte Trampelpfad, der „Ammenpfad“ genannt wird. Er wurde im Frühjahr vor der Einweihung von „Vollmersborn“ begehbar gemacht, entsprechende Holztafeln weisen auf den Pfad hin. Unter anderem weist ein hölzerner Storch im „Ammenpfad“ auf die vormals wichtige Tätigkeit von „Fräulein Storch“ hin.
Am Sonntag, dem 15. Mai 2011 wurde der erneuerte „Vollmersborn“ mit einem Fest mit einem Gottesdienst, das Bürger aus Langendorf und Hertingshausen gemeinsam ausrichteten, „eingeweiht“. Der „Ammenpfad“ sowie der Ort Hertingshausen ist in die „Galgenbergtour“ integriert, die Wanderer in Gemünden starten können.
Oberhalb des Friedhofs -auf der „Hecke“- befindet sich der Grillplatz mit Schutzhütte, einem überdachten Grill und einer Toilettenanlage.
In der Nähe des Grillplatzes am Galgenbergwanderweg liegt der sogenannte „Ort der Stille“, von dem man einen schönen Blick auf den Ort und das Wohratal hat.
Im Jahre 2019 feierte Hertingshausen seinen 325. Geburtstag seit der Besiedelung im Jahr 1694. Höhepunkte dieses Festes waren die beiden Grenzgänge am 12. und 30. Mai sowie das Festwochenende am 17. Und 18. August mit einem Höfefest im Dorf.
Wie in den anderen sogenannten Hugenottendörfern Todenhausen, Wiesenfeld, Louisendorf, Schwabendorf, Frankenhain so sind auch in Hertingshausen Informationstafeln an wichtigen Gebäuden und an Erinnerungsstätten in einheitlicher Beschriftung und Farbgebung angebracht. Federführend bei dieser Beschilderung war die Entwicklungsgruppe der Region Burgwald. Gefördert wurde das aus dem „LEADER“ Programm der EU. Auch die Gemeinde Wohratal beteiligte sich finanziell an diesem Projekt. Bei der Bushaltestelle steht eine Tafel mit einem Ortsplan, aus dem der Interessierte sieben Punkte ersehen kann, wo in Hertingshausen Informationstafeln mit Bildern aufgestellt oder angebracht sind. Dort kann man etwas über die Geschichte des Ortes erlesen und das auch in französischer Sprache.
Der Beginn eines Rundganges, um etwas über den Ort, über die Erinnerungsstätten zu erfahren, sollte bei der Bushaltestelle beginnen. Dort ist mit Eiben eine Form des Hugenottenkreuzes gepflanzt.
Von Herbert Schildwächter